21.08.2024

Kunstfest Weimar 2024: „Wofür wir kämpfen“


Liebe Freundinnen und Freunde des Kunstfestes,

seien Sie alle herzlich willkommen.

Das Kunstfest Weimar ist ein Highlight im Festivalkalender Deutschlands. Und dass das Kunstfest gegenwärtig eine Blütezeit erlebt, hat viel mit Ihrem unermüdlichen Engagement zu tun, lieber Rolf Hemke. Und mit der visionären Kraft des Kunstfest-Teams.

Das Kunstfest war nie unumstritten und das ist gut so. Denn das Kunstfest bringt zeitgenössische Kunst in den öffentlichen Raum dieser Stadt, ebenso wie in die unterschiedlichsten Kulturorte Weimars und Thüringens.

Das Kunstfest mischt sich ein. Es ist überparteilich aber nicht neutral, wenn es um die Fragen unserer Zeit geht. Es steht in diesem Jahr unter dem Motto „Wofür wir kämpfen“.

Drei Worte, jedes für sich bedeutsam:

„Wofür“ ist das Gegenteil von „Wogegen“. Und es ist so wichtig. Das Geschäftsmodell rechter Populisten zielt darauf ab, Zukunfts- und Verlustängste auszubeuten. Sie sind dagegen. Sie grenzen aus.

Für etwas zu sein, bedeutet eine Vision zu haben. Mut zu machen. Mit meinem Freund Carsten Brosda schrieb ich vor Kurzem in der ZEIT: Der Rückschritt beginnt, wenn niemand mehr vom Fortschritt spricht. Progressive waren immer dann erfolgreich, wenn sie das Bild einer Zukunft entwarfen, für die es sich zu streiten lohnt.

Im Wort „Wir“ steckt die Idee einer Gemeinschaft. In unserer Gesellschaft, die in viele einzelne Perspektiven zu zerfallen droht, ist die Wiederentdeckung der res publica, der öffentlichen, alle betreffenden Sache, ein Fortschritt. In den jüngsten Krisen unserer Zeit, während der Pandemie oder zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, war eindrucksvoll zu sehen, dass unsere Gesellschaft bereit ist zu teilen und zu helfen. Praktische Solidarität ist möglich.
„Allein machen sie dich ein“ sangen einst „Ton Steine Scherben“ und fuhren zum Ende des Songs fort: „In dem Land, in dem wir wohnen, sind aber 'n paar Millionen. Wenn wir uns erstmal einig sind, weht, glaub ich, an ganz anderer Wind“. Und so schnulzig man „Wind of change“ auch finden mag, ist er untrennbar mit 1989/90 verbunden.

Vergangene Woche sagte mir ein Pfarrer bei einer Buchlesung, er zehrt bis heute von der Erfahrung der Friedlichen Revolution. Davon, was Menschen gemeinsam erreichen können, wenn sie die Agonie und den Zynismus hinter sich lassen. Die Maueröffnung ist ihm erschienen wie die Teilung des Roten Meers, die dem Volk Israels den Weg in die Freiheit eröffnete. Starkes Bild.

„Freie Menschen“, so sagt der Soziologe Heinz Bude, „sollen keine Angst vor der Angst haben, weil das ihre Selbstbestimmung kosten kann. Wer von Angst getrieben ist, vermeidet das Unangenehme, verleugnet das Wirkliche und verpasst das Mögliche. Angst macht die Menschen abhängig von Verführern, Betreuern und Spielern. Angst führt zur Tyrannei der Mehrheit, weil alle mit den Wölfen heulen.“

„Kämpfen“ im Wortdreiklang „Wofür wir kämpfen“ ist das Gegenteil von äußerer Gewalt. Es ist der Einsatz freier Menschen für gemeinsame Werte. Das Überwinden von Angst. Wir sehen derzeit in den USA, wie es binnen weniger Tage gelingen kann, aus Agonie in Hoffnung überzugehen. Am Anfang dieses Jahres konnten wir hier in Deutschland sehen, wie spontan mehrere Millionen Menschen für die Demokratie auf die Straße gingen. Auch in den kleinsten Städten hier in Thüringen. Da waren Menschen auf der Straße, die sagten, sie hätten seit der Friedlichen Revolution nicht mehr für oder gegen etwas demonstriert. Aber nun sei es nötig, für die Demokratie.

Der us-amerikanische demokratische Vizepräsidentenkandidat Tim Walz demaskierte mit nur einem Wort „weird“, also verrückt, den Angstkaiser Donald Trump. Seither ist Trump politisch nackt. Er ist weiterhin gefährlich. Aber ein nackter Kaiser. Wir können ihn ernst nehmen aber wir sollten über ihn lachen. Und ihn dadurch als Scheinriesen demaskieren.

Und so müssen wir auch die hiesigen Extremisten sehen: sie sind „weird“. Oder mit Grönemeyer: „Dem Trübsinn ein Ende - sie werden in Grund und Boden gelacht!“

 

Liebe Freundinnen und Freunde des Kunstfestes,

gestern führte das DNT die letzte Aufführung des „Hamlet“ auf. Dort heißt es: „Die Welt ist aus den Fugen“. Doch wann war sie zuletzt eigentlich in den Fugen? Theodor Adorno antwortete im Jahre 1969 auf die Feststellung des SPIEGELS „Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung...“– lakonisch mit den Worten „Mir nicht.“

Die Welt ist so gesehen aus den Fugen, doch ist dieser Zustand nicht die Ausnahme. Er ist der Regelfall. Wenn uns die Erinnerung daran fehlt, wann die Welt in den Fugen war und wie es sich seinerzeit anfühlte, dann ist die einzige Handlungsmöglichkeit die mir einfällt, die positive Beschreibung einer Welt, die in ein Gleichgewicht kommt und damit in die Fugen. Und wie sich dies anfühlen würde.

Diese positive Weltbeschreibung wird zunächst nur eine Vision sein. Ein Weg, gepflastert mit Zielen, die erreichbar gemacht werden wollen: 1,5 Grad Erderwärmung und nicht mehr, um nur ein Beispiel zu nennen. Ein Weg, an dem uns Grundwerte als Leitplanken ausrichten: Liberté, Égalité, Fraternité. Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit.

Und ein Weg mit Widersprüchen die uns mal zwei Schritte vorwärts und einen zurück zwingen. Aber auf dem wir vorankommen können, wenn wir wollen. Gemeinsam, solidarisch, demokratisch. Weil wir wissen, wofür wir kämpfen!